Manchmal passt es. Sofort! Manchmal trifft man Menschen, mit denen hätte man gern länger gesprochen. Mit Begeisterung schaut man ihnen über die Schulter, bewundert ihren Enthusiasmus und ihre Hingabe, ihre Fachkenntnis und bestaunt die Produkte, die sie entstehen lassen… Ein Ahle Wurscht-Tag mit Biobauer Stefan Itter (rechts), Biometzger Martin Theisinger (Mitte) und Genusshandwerker Hans-Georg Pestka (links)…. Und ein Beitrag für Katharina Seiser wunderbaren Tierfreitag!
Wir befinden uns in Hessen!? – Nein, in Nordhessen! Genauer gesagt in der pitoresken Gemeinde Kirchberg, noch genauer in der Küche von Biobauer und Ahle Worscht-Produzent Stefan Itter. Wir, das sind Genusshandwerker Hans-Georg Pestka und ich. Wir wollen sehen, wo diese außergewöhnliche, biozertifizierte, nordhessische Ahle Wurscht herkommt, die uns vor allem durch ihre Bodenständigkeit so entzückt. Wir wollen wissen, wer dahinter steckt. Und was das Geheimnis dieses Slow Food-Arche-Passagiers ist? – Also rein ins Auto, über die A 44 nach Osten und rein ins Fachwerk-Höfchen von Stefan Itter. Schön hier! Idyllisch!
Der Blick aus dem Küchenfenster fällt auf zwei faule Schweine.
Bei Stefan gibt´s erstmal einen Kaffee in der großen Wohnküche. Der Blick aus dem Küchenfenster fällt auf zwei faule Schweine, die genüsslich im Stroh dösen. Weinreben in der Sonne, Holztore zum Stall, ein Schild zum Hofladen. Hausherr Stefan ist 44 und eigentlich studierter Landschaftsplaner ist. Er wirkt unaufgeregt, aufgeschlossen und sympatisch. Auf dem großen Esstisch liegt die Süddeutsche. „Die Küche,“ so Stefan, „ist Haupt- und Lieblingsort in meiner Wohnung.“ Gekocht werde viel, nie nach Rezept, sondern nach Lust, Laune und Saison. Fleisch gäbe es eher selten. Wenn, dann vor allem für Freunde, die sich freuen, dass Stefans Schweine ein so glückliches Leben hatten.
Wir probieren ein paar Scheiben Ahle Wurscht. Andächtiges Kauen. Noch eine Scheibe. Erdiger Geschmack, voller Leben und voll ehrlichem, tiefem und komplexem Aroma. Einfach lecker! Unaufgeregt, leise und doch präsent und kaum zu beschreiben. Später werden wir die Reifekammer bestaunen und etwas besser verstehen. Die Wurstherstellung beim befreundeten Bio-Metzger Martin Theisinger werden wir überdies erleben. Jetzt geht´s aber erstmal runter auf den Hof, rein in den Stall zu den Schweinen. Stefan zeigt uns die großzügigen und mit Stroh gestreuten Buchten, in den sichtlich zufriedene Schweinegruppen verschiedener Altersklassen herumwuseln. Den Hof hat Stefan 2002 von seinen Eltern gepachtet und aus Naturverbundenheit auf Öko-Landbau umgestellt. Die Produktion der Ahle Wurscht wurde nach und nach wichtiger. Stefan sagt: „Die Nachfrage war da. Denn die bis zu 6 Monaten gereifte und leicht über Buchenspänen geräucherte Rohwurst, ist in dieser Gegend ein Kulturgut. Schon am Abendbrottisch in meiner Kindheit durfte sie nicht fehlen.“ Heute sendet Stefan etliche Würste an Exil-Nordhessen, damit sie es in der Fremde wenigstens halbwegs aushalten.
„Wichtig für gutes Fleisch,“ sagt Stefan, „ist die richtige Futtermischung aus Sommergerste, Weizen und Bohnen.“ Das Getreide für die Tiere baut er selbst an. Denn diese Kreislaufwirtschaft zwischen Ackerbau und Tierhaltung gewährt dem Biolandwirt größtmögliche Transparent und Kontrolle über Futter- und Fleischqualität. Doch nicht nur das Futter ist entscheidend. Auch die möglichst artgerechte, extensive Haltung und eine stressfreie Schlachtung sind wichtig. Stefans Schweine werden ein gutes Jahr von ihm gehegt und gepflegt, bis sie in die Wurst kommen. Er selbst bringt sie zum Schlachten. Immer mindestens zwei zusammen, damit sie sich wohl fühlen. Schwierig sei es nicht, die Schweine wegzubringen, sagt der Bauer. „Wer mit Nutztieren groß wird, weiß, dass die Tiere irgendwann getötet werden. Zum Abschied gibt´s ein „Macht´s gut“ und das war´s.“
„Zum Abschied gibt´s ein „Macht´s gut“ und das war´s.“
So ganz war´s das nicht, denn als Ahle Worscht kehren die Schweine ein paar Tage nach der Schlachtung auf den Hof zurück. Bio-Metzger Martin Theisinger hat sie in der Zwischenzeit zerlegt und komplett verwurstet. – In die Ahle Wurscht kommt nämlich traditionell das ganze Schwein, samt der sogenannten Edelteile wie Rücken, Filet oder Keule. Filet in die Wurst? Das scheint dem „modernen“ Menschen zunächst widersinnig. Könnte man doch mit dem Verkauf genau dieser Teile richtig Geld verdienen!?! Stefan Itter sagt, für seine Wirtschaftsweise sei die Komplett-Verwurstung genau richtig. Außerdem zeichne sich eine gute Ahle Wurscht durch ein ausgewogenes Fett-Fleisch-Verhältnis aus, das gerade durch die Mischung aller Fleischteile erreicht werde.
Herrlich! Würste soweit das Auge reicht.
Endlich betreten wir das Allerheiligste – den Reiferaum! Gemauerte Wände, Fensterluke, Holz. Keine Technik, keine vollautomatische Klimaanlage, die die Reifung steuert! Stattdessen würzig-feiner Wurstgeruch im Halbdunkel. Keine Metallflächen, sondern Materialien, die das leicht rauchige Wurstaroma längst aufgenommen haben und in jeder Sekunde wieder abgeben. So, dass alle folgenden Wurstgenerationen immer besser werden. Herrlich! Würste soweit das Auge reicht. Runde, längliche, dicke, dünne. Ein Fest für die Sinne! Technik nivelliere den Geschmack, sagt Stefan. „Bei mir hängen die Würste zunächst eine Woche bei milden Temperaturen (12 °-15°C), um die Fermentation anzustoßen. Dann werden sie einmal gewaschen, etwa 8 Stunden über Buchenspänen geräuchert. Danach reifen sie mindestens 4 weitere Wochen bei etwa 10 °C.“ In der Zwischenzeit kann einiges schiefgehen. Statt zu reifen, kann die Wurst verderben. Mäuse und Fliegen können zum Problem werden. Deshalb wird Ahle Wurscht traditionell nur in den Wintermonaten hergestellt. Und wenn alles klappt, entsteht eine absolut einzigartige Wurst. Mit einem Geschmack, der nur unter diesen Bedingungen erreicht werden kann. Eine echte Slow Wurscht – denn vom Ferkel bis zur fertigen Wurst dauert es mindestens 15 Monate, oft noch viel länger.
Respekt! Doch ist das ein Modell für die Zukunft?
Am Ende staunen wir mal wieder, wie viele Faktoren dafür verantwortlich sind, eine Wurst so schmecken zu lassen, wie sie schmecken sollte. Was ist nötig, um mit möglichst wenig Zutaten, ein so komplexes Aroma zu erzeugen? – Ein angenehmes und angemessen langes Schweineleben, genauso wie eine ausgeklügelte und selbst angebaute Futtermischung. Eine möglichst stressfreie Schlachtung, wie die professionelle Wurstherstellung . Schließlich die traditionelle und riskante Reifung ohne technisches Beiwerk. Zusammengefasst sind es mal wieder Handwerk, Erfahrung, Geduld und viel Zeit, die eine solche, echte Slow Wurscht ausmachen. Respekt! Mehr davon! – Doch könnte Stefans Landwirtschaft auch ein Modell für die Zukunft sein? Oder ist es lediglich ein Luxus für Feinschmecker und Idealisten? – Das habe ich Stefan Itter gefragt. Und möchte die Frage auch an Euch weitergeben. Schreibt mir Eure Meinung dazu. Ich versuche mich daran im nächsten Post!
Hier nun die Bildergeschichte: Vom Schwein zur Wurst! Viel Spaß.
Zu kaufen gibt´s die Wurst hier beim Genusshandwerker. Der hat auch die Reise nach Nordhessen, nicht aber diesen Text gesponsort. Die Meinung zur Ahle Wurscht ist – wie immer hier im Blog – meine eigene. Hätte es mir nicht geschmeckt, hätte ich auch keine Zeit in diesen Post investiert.
Pingback: Ela meets Isa - Zu Gast bei Wilde Fermente - Manuela Rüther